


Valerie Hoberg
Abstract
Kunst in der Architektur. Relationen:
Eduardo Chillida, Aires Mateus, Ensamble Studio, Smiljan Radic
Die Relation von Kunst und Architektur beschäftigt Theoretikerinnen und Praktizierende beider und anderer Disziplinen seit Jahrhunderten und insbesondere seit den Avantgarden des 20. Jahrhunderts sind Grenzverwischungen präsent. Für die produktiven Momente ihrer Schnittstellen interessiert sich das im Folgenden beschriebene Promotionsvorhaben.
Die wesentlich auf den Alltag bezogene und von Konventionen und Normen geprägte Architektur steht grundlegend unter der Vorherrschaft des Gebauten. Im zeitgenössischen Praxisalltag muss dies vor allem ökonomischen oder ökologischen Anforderungen genügen. In der Architekturpraxis kommen auf die Gestaltung oder Wahrnehmung bezogene Qualitäten ebenso wie visionär-konzeptionelle, experimentelle oder forschende Ansätze häufig zu kurz. Die Gefahr besteht, dass unter derartigen zeitgenössischen Bedingungen die Architektur zu einer lediglich funktionserfüllenden Hülle degradiert und ihr Potential zu intensivierter Selbst- und Welterfahrung sowie zur Rahmung des Verständnisses dafür nicht ausgeschöpft wird.
Die Kunst, als eine Praxis und Denkweise des Interpretierens der Welt und ihrer Erfahrung, scheut grundsätzlich nicht vor Übertragungen von Fragestellungen, Methoden oder Wissensformen aus anderen Disziplinen zurück, sondern nutzt sie als elementares Repertoire. In Bezug zur Architektur haben künstlerische Auseinandersetzungen mit der gebauten Umwelt und körper- sowie raumbezogene Fragestellungen eine Tradition in Malerei und Grafik, ebenso wie in Skulptur und Installation. Darin finden sich Strategien oder Parameter als implizites Wissen verkörpert.
Das Promotionsvorhaben folgt der Annahme, dass die Kunst, spezialisiert auf die Artikulation und sinnliche Erfahrung der Relation von Menschen zur Welt, für die Architektur Impulse liefern kann, welche genau jenes Potential befördern: Es wird gesucht nach Erscheinungsformen des Künstlerischen in der zeitgenössischen Architekturarbeit. Dabei werden nicht lediglich realisierte Bauwerke und gestalterische Parameter fokussiert, sondern ebenso Konzepte, Methoden sowie damit verbundene Medien in die Betrachtung einbezogen. Eine besondere Rolle spielen außerdem Ansätze künstlerischen Forschens sowie unterschiedliche künstlerische Werke, die von Architekturschaffenden produziert werden und den Begriff ‚Architekturpraxis‘ über das Gebaute hinaus erweitern.
Die Suche nach dem Ungewohnten in unterschiedlichster Ausprägung sowie die mit der Kunst und ihrem Denken verbundene Transformation von Konventionen leiten die Untersuchungen. Auf welche Weise und für welche Aspekte der zeitgenössischen und zukünftigen Architektur bietet das Künstlerische Verbesserungspotentiale?
Die Arbeit gliedert sich in mehrere aufeinander aufbauende Teile und verfolgt eine phänomenologisch-hermeneutische Methode.
Einleitend erfolgt eine theoretische Eingrenzung des Themas im breiten Forschungsfeld der Relationen von Kunst und Architektur anhand von Literaturrecherchen.
Den Hauptteil der Arbeit bilden drei Case Studys zu zeitgenössischen Architekturbüros, anhand derer exemplarisch Formen des Künstlerischen analysiert und als gestalterisch-wahrnehmungsbezogene Konzepte und Strategien im Entwerfen und in einem möglicherweise existenten künstlerischen Forschen beschrieben werden.
Kontextualisiert werden diese durch ihr jeweiliges Bezugnehmen auf das Denken und Arbeiten des Bildhauers und Grafikers Eduardo Chillida. Über diesen Referenzpunkt wird für die Fallstudien eine gemeinsame Basis hergestellt, welche eine Vergleichbarkeit ermöglicht und damit gleichzeitig das differenzierte Spektrum möglicher Impulswirkungen durch eine künstlerische Position beschreibbar macht.
Das umfangreiche Werk Chillidas weist einen prägnanten Personalstil auf und eignet sich entsprechend für Referenzierungen durch andere Disziplinen. Darüber hinaus beschäftigt sich Chillida, als selbsternannter ‚Architekt der Leere‘, in seinen vielfältigen Werkgattungen mit einem spezifischen Materialkanon und in seinem umfangreich schriftlich notierten Denken mit raumbezogenen Phänomenen. Das interdisziplinäre Vorgehen, welches im Promotionsvorhaben von übergeordnetem Interesse ist, findet sich also auch in Chillidas suchenden künstlerischen Prozessen, welche partiell als forschend charakterisiert werden können.
Aus dieser Relation zu architekturbezogenen Fragestellungen werden Analysekriterien für die darauffolgenden drei Fallstudien entwickelt. Sie bestehen aus dem portugiesischen Büro Aires Mateus, dem spanischen Büro Ensamble Studio und dem Büro des chilenischen Architekten Smiljan Radić. Von einer einleitenden Charakterisierung des Werkes wird über eine Einordnung der verschiedenen Relationen zur Kunst, wobei den Ausgangspunkt jeweils das Arbeiten Chillidas bildet, zu den Analysen der Erscheinungsformen des Künstlerischen in den Œuvres gelangt. Diese beinhalten Parallelen zu Chillidas Werk, weisen aber jeweils auch darüber hinaus.
Methodisch werden alle drei Fallstudien sowie die Analysen zum Werk Chillidas auf Basis von Literaturstudien sowie von Vor-Ort-Besuchen bearbeitet.
Die abschließenden Erkenntnisse gliedern sich in zwei Teile: Zunächst werden die aus den Fallstudien resultierenden Strategien und Qualitäten herauskristallisiert, welche aus einer Referenzierung Chillidas für die zeitgenössische Architekturpraxis entstehen können. Auf diese Weise wird auch eine bislang wenig betrachtete Bedeutung des Werks Chillidas beleuchtet. Der zweite Teil konkretisiert die übergeordneten Erkenntnisse zu künstlerischen Konzepten für eine zeitgenössische und zukünftige Architektur.
Die Arbeit strebt Charakterisierungen der unterschiedlichen Erscheinungsformen und Wirkungsweisen des Künstlerischen in der Architektur an. Es werden kunstspezifische Strategien und Praktiken sowie Werkqualitäten herausgearbeitet, die neue Arten vorschlagen, sowohl funktionale Bedürfnisse zu erfüllen, als auch das Potential der Architektur für eine intensive Erfahrung und Erkenntnis des Selbst sowie der Welt zu steigern. Dadurch werden kreative Konzepte für zeitgenössische Problemstellungen der verschiedenen Handlungsbereiche der Disziplin ermöglicht, welche produktiv und experimentell das Ungewohnte fokussieren.
Die Explikation des damit verbundenen entwurfsbezogenen und künstlerischen Wissens macht dies zugänglich und übertragbar für Praktizierende von gestalterischen Disziplinen.