


Sarah Wehmeyer
Abstract
Die Collage als Praktik forschenden Entwerfens
Die Forschungsperspektive der Promotion ist es herauszukristallisieren, welche praxisbezogenen Fähigkeiten und wissenschaftlichen Kapazitäten die Collage als architekturspezifisches Entwurfsinstrument sowie als eine spezifische Praktik der entwurfsbezogenen Architekturforschung generiert. Unterschiedliche Formen und Serien von Collagen werden als besondere Relation von Entwerfen und Forschen aufgezeigt und eröffnen damit neue Perspektiven für das Entwerfen, Forschen und Lehren mit visuellen und künstlerisch intendierten Medien, nicht nur für Architekturschaffende.
Thematik
Als eine den bildenden Künsten entlehnte spezifische Technik des Überlagerns und Klebens von realen Papier- und Materialfragmenten erlebt die Collage in der gegenwärtigen Architekturdisziplin ein Comeback als alternative Form der Visualisierung. Architekturbüros, wie die in Brüssel operierenden OFFICE und Dogma sowie die Mexikanerin Tatiana Bilbao, generieren in ihren Darstellungen grafische Raumatmosphären durch die digital oder analog erzeugte, zweidimensionale Schichtung von unterschiedlichen fotografischen Bildfragmenten und abstrakten Farb-, bzw. Materialflächen. Über die visuelle Prägnanz dieser Collagen hinaus ist insbesondere zu beachten, dass die genannten Architekt:innen in ihrem individuellen Experimentieren und Interagieren mit dem Collagieren, Ansätze eines intensivierten künstlerischen und zugleich forschenden Zugangs zur Entwurfsgenese aufzeigen. Die geplante Dissertation thematisiert die in der Architekturdisziplin bisher primär als Präsentationsmedium erfasste Collage nun als gegenwärtige und zukunftsrelevante Entwurfs- und Forschungspraktik. Es wird untersucht, welche Potentiale die Collage und das Collagieren für die Konzeption und Erforschung von Architektur und Stadt(raum) sowie für die Reflexion und Entwicklung der individuellen Entwurfshaltung eröffnet. Weitergehend wird erforscht, ob und wie die Collage als eine reflexive Annäherung an kreative Prozesse implizit und/oder explizit die Genese und Kommunikation von entwurfsspezifischem Wissen unterstützt.
Aufbau + Methodik
Die Arbeit situiert sich in einer phänomenologisch-hermeneutischen Forschungstradition und ist in unterschiedlichen methodischen Schritten aufgebaut. Von einem architekturtheoretischen Standpunkt aus wird mit dem Forschungshintergrund zunächst ein tiefergehendes Verständnis für das Begriffspaar des 'Forschenden Entwerfens' in entwurfsbasierten Disziplinen wie der Architektur entwickelt. Grundlage hierfür sind gegenwärtige Diskurse, welche den Prozess und die Instrumente des Entwerfens in ihren koevolutiven Potentialen – gestalterisch, forschend, wissensgenerierend – untersuchen. Ergänzend hierzu richtet sich der Blick ebenso auf bildbezogene Forschungen, um übergreifende kommunikative und kognitive Potentiale von Bildern herauszukristallisieren wie auch um das Bild als selbstreferentielles Forschungsmedium zu fokussieren. Durch die Thematisierung beider Diskurse sollen Kompetenzen und Formen der Wissenserzeugung und Wissenskommunikation aufgezeigt werden, die nicht verbal, sondern visuell, geprägt sind. Der dritte Teil des Forschungskontexts definiert signifikante Eigenschaften der Collagen-Technik über ihre ursprüngliche Verwendung in den bildenden Künsten des 20. und 21. Jahrhunderts hinaus. Hierauf aufbauend werden ihre formalen und ideellen Übersetzungen in die Entwurfsgenese und Architekturpräsentation des 20. Jahrhunderts, wie sie bereits in den Arbeiten von Mies van der Rohe oder Superstudio sowie in den Entwurfskonzeptionen der Collage City zu Teilen erforscht wurden, betrachtet.
Um übergreifend praxisbezogene und wissenschaftliche Kapazitäten der Collage für die Architektur zu erfassen, ist der zweite Dissertationsteil als Fallstudienanalyse der drei zeitgenössischen Architekturbüros OFFICE, Dogma und Tatiana Bilbao Estudio konzipiert. Auf der Basis von Literaturrecherchen und -analysen, Ausstellungsbesuchen und -untersuchungen sowie abschließenden Interviews wird gezielt ergründet, wann und mit welcher Perspektive die Collage von den Architekten als Visualisierungsform, Entwurfsinstrument und/oder forschendes Tool eingesetzt wird. Begleitend hierzu, nutzt die Autorin selbst das Collagieren als Forschungspraktik, um Vorgehen und Zielsetzungen der Architekten besser nachvollziehen zu können sowie die gewonnenen Erkenntnisse in Bezug auf das eigene Schaffen als Architektin und Architekturtheoretikerin zu überprüfen und weiterzuentwickeln.